Im Keller des St. Ingberter Rathauses liegt ein großer Schatz, der kaum wahrgenommen wird: das Stadtarchiv. Dr. Heidemarie Ertle, die Archiv-Leiterin, zwei weitere feste Mitarbeiter und zeitweise auch studentische oder wissenschaftliche Hilfskräfte hüten hier das Gedächtnis der Mittelstadt. Verstaubte Papiere? Dunkle Regalfluchten? Langweilige Arbeit? – Weit gefehlt! Die promovierte Historikerin ist begeistert von ihrem Job: „Die Arbeit ist extrem spannend. Schließlich sortieren und bewahren wir die Nachlässe von Menschen, ihre Dokumente, Fotos oder auch Beschlüsse – also die gesamte Geschichte unserer Stadt.“
Das Tagesgeschäft: Auswertung von Presse und Registratur sowie Beratung
Aufgaben hat das kommunale Archiv wahrlich mehr als genug. So gilt es z. B. täglich, die Tageszeitung auf Artikel auszuwerten, die St. Ingbert betreffen, diese mit Schlagworten zu versehen und auffindbar zu speichern. Außerdem werden alle Akten und Notizen, die in der Stadtverwaltung generiert werden, gesichtet, und relevante Dokumente werden aufbewahrt. Damit fällt dem Archiv die Aufgabe zu, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und damit Geschichte zu schreiben. „Außerdem ist das Archiv offen für alle Bürger. Wir freuen uns, Interessierten bei der Suche nach Dokumenten zu helfen. Damit unterstützen wir nicht nur private Forschungsvorhaben, sondern auch wissenschaftliches Arbeiten. Das Archiv soll ein lebendiger Ort sein, an dem die Bürger nach Antworten auf viele ihrer Fragen suchen können“, erklärt Heidemarie Ertle.
Dokumente in Findbüchern katalogisieren
Die eigene Forschungsarbeit wird durch Drittmittel unterstützt. So war das Archiv St. Ingbert das erste kommunale Stadtarchiv im Saarland, das eine Förderung durch die KEK (Koordinierungsstelle für die Erhaltung schriftlichen Kulturguts, Berlin) beantragt und auch erhalten hat. Die Fördermittel wurden nach dem Brand des Kölner Stadtarchivs zur Verfügung gestellt, um schriftliche Dokumente zu sortieren und in schwerentflammbaren und wasserabweisenden Spezialkartons zu lagern. Zudem werden die so entstehenden Bestände in sogenannten „Findbüchern“ dokumentiert. Hierbei handelt es sich um ein Art Katalog, in dem die einzelnen Dokumente eines Bestands verschlagwortet und mit Signaturen versehen werden. In den Findbüchern kann man u. a. viele weiterführende Informationen entdecken (www. https://www.st-ingbert.de/kultur/stadtarchiv/findbuecher.html).
1. Wirtschaftsarchiv – Hier finden sich Dokumente ansässiger Firmen. Privatunternehmen sind nur während ihrer Geschäftstätigkeit verpflichtet, Unterlagen aufzuheben. Nach einer Geschäftsaufgabe werden diese häufig vernichtet. Das Stadtarchiv bietet an, für die Stadtgeschichte wichtige Unternehmensnachlässe zu übernehmen, da es sich meist um wertvolle Informationen handelt. In St. Ingbert gibt es z. B. den Bestand der ehemaligen Brauerei Becker.
2. Altes Archiv – In diesem Teil des Archivs werden alle Dokumente aus der Zeit vor 1974 gesammelt. So finden sich in den Regalreihen unter anderem alle Ausgaben des St. Ingberter Stadtanzeiger ab 1867, Dokumente aus den einzelnen St. Ingberter Stadtteilen, eine große Menge an Nachweisen aus der NS-Zeit, die zum Teil noch nie ausgewertet wurden, Unterlagen zum Waldstreit aus den Jahren 1754 bis 1791, einige Unterlagen aus dem späten Mittelalter und viele weitere Schätze.
3. Privatnachlässe – In diesen Beständen werden Unterlagen aus den Nachlässen von Privatpersonen gesammelt. Die teils noch lebenden Personen oder auch die Erben bestimmen selbst, ob und wenn ja, wann die Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen. Das St. Ingberter Stadtarchiv beherbergt neben zahlreichen anderen die Nachlässe des Heimatforschers Dr. Wolfgang Krämer und des Heimatdichters Karl Uhl, die ebenfalls in Findbüchern katalogisiert sind.
4. Standesamtsregister – Personenstandsdokumente dürfen aus Datenschutzgründen erst 110 Jahre nach der Geburt oder 30 Jahre nach dem Tod einer Person veröffentlicht werden. Im Archiv findet sich unter anderem ein Standesamtsregister aus dem Jahr 1808. Ein wirkliches Goldstück, da vorher die Personenstände nur in Kirchenbüchern festgehalten wurden. Erst Napoleon Bonaparte führte das Standesamtsregister ein, weshalb das Dokument in den Regalen des St. Ingberter Archivs auch in französischer Sprache abgefasst ist. Der Ahnenforschung sind mit solchen Dokumenten fast keine Grenzen gesetzt.
5. Ein großer Aktenschrank mit breiten Schubladen birgt alte Karten und Pläne, die in St. Ingbert derzeit noch nicht sortiert und verzeichnet wurden.
Digitalisierung der Fotos von Erich Isenhuth
Hinzu kommt ein Fotoarchiv von derzeit über 250.000 Fotos, das in Kürze erweitert werden wird. Denn das St. Ingberter Stadtarchiv arbeitet noch an einem weiteren Projekt, das vom Bund unter dem Programmnamen „Neustart Kultur“ mit knapp 30.000 Euro gefördert wurde. Im Rahmen dieses Projekts werden derzeit etwa 100.000 Negative des St. Ingberter Fotografen Erich Isenhuth (1923 – 2010) digitalisiert, die in den 60er, 70er und 80er Jahren aufgenommen wurden. Die Negative werden etwa Ende Mai als digitale Positive bereitstehen und können zum Beispiel ausgestellt oder zu privaten oder wissenschaftlichen Recherchen verwendet werden. Eine echte Schatztruhe St. Ingberter Zeitgeschichte.
Publikationen und Analysen zur Stadtgeschichte
Neben der Archivierungsarbeit kommt dem Stadtarchiv auch die Recherche und Auswertung alter Unterlagen zu. So hat Frau Dr. Ertle in Zusammenarbeit mit dem Conte-Verlag die Reihe „Ingobertina“ gegründet, in der bereits die Bücher „Gestern war ein schwerer Tag für uns hier in St. Ingbert. Das Kriegstagebuch der Ruth Schier“ (2020) und „St. Ingberter Stadtgeschichten“ (2021) veröffentlicht wurden. „Das St. Ingberter Stadtarchiv leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass wir unsere Vergangenheit bewahren. Nur so können wir die Zukunft gestalten“, bestätigt Oberbürgermeister Dr. Ulli Meyer.
Dieses Bild wurde uns zur Verfügung gestellt von Giusi Faragone.
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