Sie kam aus München mit der Bahn nach St. Ingbert angereist, und der Zug war pünktlich. Dagmar Leupold, die es in den letzten Jahren dreimal auf die Auswahlliste für den Deutschen Buchpreis geschafft hatte, war zum zweiten Mal in der Mittelstadt zu Gast, um auf Einladung des St. Ingberter Literaturforums ihren aktuellen Titel „Dagegen die Elefanten!“ vorzustellen.
Die Stuhlreihen in der Stadtbücherei waren bis auf den letzten Platz besetzt, denn die Autorin bot ihren aufmerksamen Zuhörern das, was nur gute Literatur schafft: Die Einsamen, die Sonderbaren liebevoll zu beschreiben. So wie sie dem Herrn Harald eine Stimme verleiht, dem Garderobier im „Schönsten Theater der Stadt“ München, der sein Leben von Ritual zu Ritual durchtaktet, um in seiner Einsamkeit zumindest Ordnung zu erreichen, das ist schon einzigartig. Der ebenso tragische wie komische Protagonist dieser Geschichte ist ein Held des Alltags, ein Mann in Dienstkleidung, einer, dessen Bemühen um beste Ausführung seiner Arbeit nirgendwo Dank erfährt.
Die Autorin nähert sich diesem schrulligen Außenseiter voller Respekt und lässt ihre Leser ebenso behutsam wie elegant am Kopftheater ihres Protagonisten teilhaben, das durch einen enormen Reichtum an Beobachtungen, Gedanken und Gefühlen frappiert. Dieser Herr Harald, eine durchaus systemrelevante Gestalt, steht im Schatten des glanzvollen Münchner Theaterlebens und verehrt seinerseits wiederum eine Notenumblätterin, die in Konzertsälen ebenso ein Schattendasein wie er selbst führt, so als wäre sie gewissermaßen sein Spiegelbild.
Der „Wächter der Mäntel“ sitzt sein Leben lang mit schwarzem Kittel und fein gebügeltem weißen Hemd in der Operngarderobe, Balkon links, auf einem in den äußersten Winkel verbannten Schemel und ist flink zur Stelle, wenn Besucher ihre Mäntel und Jacken abgeben oder wieder an sich nehmen wollen. In dieser blühenden Erzählwelt voller Einfühlung und Fantasie kommt der Sprache eine herausragende Bedeutung zu: Herr Harald notiert nicht nur seine Einfälle und nominiert seine „Wörter des Monats“, er begreift zudem die Relevanz des Nebensächlichen und entwickelt ein hohes Sprachbewusstsein. „Pausendeserteure“ und „Mußeduscher“ sind nur einige seiner Wortschöpfungen.
Mit ihrem Parcours durch den Roman, der Lesung und Publikumsgespräch subtil verband, führte Dagmar Leupold ihr Auditorium durch mehrere Monate im Leben ihres Helden und ließ den Schluss ihres Romans bewusst offen. Ihre Zuhörer dankten ihr mit langem Applaus. Dem schloss sich ILF-Sprecher Jürgen Bost an, der zum Abschluss der Lesung noch auf die letzte Autorenbegegnung im zu Ende gehenden Kalenderjahr hinwies.
Den Schlusspunkt zum Lesungsreigen 2022 wird am Mittwoch, 14. Dezember 2022, der in St. Ingbert lebende Politikwissenschaftler Adolf Kimmel setzen. Er hat die erste deutschsprachige Biografie über Francois Mitterand verfasst und zeichnet darin in klaren Konturen das Porträt eines Politikers, der ebenso undurchschaubar und wandlungsfähig wie als Persönlichkeit umstritten war und deshalb auch als Sphinx bezeichnet wurde. Auch diese Lesung beginnt um 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei. Anmeldungen bei der Stadtbücherei St. Ingbert unter Telefon 06894/9225 711 oder stadtbücherei@st-ingbert.de sind ab sofort möglich.
Foto: Sonja Colling-Bost
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