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Die Stasi im Kinderzimmer – Der Rostocker Autor Christian Ahnsehl zu Gast beim Literaturforum

Die Rundschau St. Ingbert

Zum Start des Frühjahrsleseprogramms war die Konrad-Adenauer-Stiftung Saar im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe „Politik und Poesie“ wieder einmal gern gesehener Gast in der St. Ingberter Stadtbücherei. Zahlreiche Zuhörer fanden sich zu einer spannenden Veranstaltung ein, die in Kooperation mit dem St. Ingberter Literaturforum (ILF) angeboten wurde. Die Lesung mit dem Rostocker Autor, Zeitzeugen und Musiker Christian Ahnsehl galt seinem viel beachteten Romandebüt „Der Ofensetzer“, in dessen Entstehungsgeschichte und Thematik ILF-Sprecher Jürgen Bost einführte. Dr. Karsten Dümmel, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für das Saarland und Leiter des Politischen Bildungsforums Saarland, stellte die Zielsetzung der bundesweit aktiven Stiftung vor und betonte deren besonderes Engagement für die freiheitliche Demokratie. Für die musikalische Umrahmung sorgten an diesem Abend Robin Weisgerber an der Gitarre und Carlos Wagner am Saxophon.

Christian Ahnsehl beschreibt in seinem stark autobiografisch inspirierten Werk einen Jungen, der nach dem Schreiben einer als staatsfeindlich deklarierten Protestlosung in die Fänge der Staatssicherheit gerät. Statt einer erwarteten Strafe wird er von seinem Führungsoffizier auf einen rätselhaften Ofensetzer angesetzt. Zunächst fühlt sich Tom beachtet und geschmeichelt, dann sieht er sich als Verräter und sucht den Absprung. Eine zweite Handlungsebene beleuchtet das beinahe obsessive Interesse des Stasihauptmanns an der Zielperson, die ihn an seinen eigenen Vater erinnert, den er 1936 verraten hatte. Diese eher private Motivation lässt ihn bei seinen Untergebenen als sentimentalen Schwächling erscheinen, gegen den man dann paradoxerweise selbst die bewährte Strategie der Zersetzung richtet.

Der Jazzmusiker Ahnsehl hat aus seiner persönlichen Stasigeschichte einen packenden Roman entwickelt, der höchsten literarischen Ansprüchen genügt. Er selbst wurde 1985 im Alter von 15 Jahren IM (inoffizieller Mitarbeiter) der DDR-Staatssicherheit und sollte sich in einer kirchlichen Gemeinde seiner Heimatstadt Rostock umsehen. Ihn ließ sein Erleben im anderen deutschen Staat nie los, und seine Vita steht stellvertretend für tausende Kinder und Jugendliche, die als Minderjährige von der Staatssicherheit umworben und missbraucht wurden.

In dem von Karsten Dümmel moderierten Publikumsgespräch ging es dann vor allem um die eindrucksvolle, fast dokumentarische Wiedergabe des DDR-Alltags und des darin herrschenden Lebensgefühls im Erzählverlauf und vornehmlich auch um die Allgegenwart staatlicher Kontrolle. Der Bürgerrechtler Dümmel konnte bestürzend genau über verhängte Maßnahmen und Zersetzungsstrategien im anderen Teil Deutschlands berichten. Zwei Stunden vergingen so wie im Flug.

Zum Abschluss der Veranstaltung dankte Jürgen Bost allen Mitwirkenden und wies auf die nächsten ILF-Veranstaltungen in der Stadtbücherei hin: Einen von der Buchhandlung Friedrich organisierten „True Crime Abend“ am 10. Mai, eine Autorenbegegnung mit Julia Schoch zu ihrem Erfolgstitel „Die Liebe des Jahrhunderts“ am 3. Juli, eine Würdigung Bert Brechts anlässlich seines 125. Geburtstags am 4. Oktober und einen Erinnerungsabend an die vor 50 Jahren tragisch ums Leben gekommene große Lyrikerin Ingeborg Bachmann am 8. November 2023.

Foto: Jürgen Bost, Sonja Colling-Bost

Frederik Hartmann

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